WG19 – Briefentwurf an Alma Mahler
Neubabelsberg, Montag, 25. Juli 1910
Ist es wol richtig, daß ich
Dir alle Gefühle, auch diese
elenden und feigen frei-
mütig bekenne? Man
sollte vor Frauen niemals
Schwachheiten zeigen, aber
Du bist mir so gesondert
von allem
____________________
Deine nennt
mich, mein lieber
und unterschreibt Ihre
getreue Mama
Meine geliebte. Es wird
mir immer ängstlicher \banger/ zu
Mute. Ehe ich in die Stadt
fuhr um diesen Abend
mit Dr. P. zusammen
zu essen war ich noch auf
der Post und es ist nichts
von Dir da. Verspätete Briefe
aus T.[immendorf] müssten mir auch
längst nachgesandt sein.
Auf dem Bahnhof \Reisebüro/ brachte
ich eben genau alle Züge
in Erfahrung, die nach Toblach
fahren, damit ich sofort
reisen kann, wenn etwas
\mit Dir/ passiert ist. Ich werde
morgen nicht nach Pom.[mern]
fahren, wenn ich noch immer
nichts von Dir weiß, so not-
wendig dort meine Anwesen-
heit zu sein scheint. Eine tele-
grafische Antwort müsste
ja längst hier sein. ich
bin unsagbar unglücklich.
Um mir künstlich die Ruhe
zu bewahren zwinge ich mich
mit Gewalt mich selbst zu
beobachten, mein Gefühl mit
dem Verstande zu kri-
tisieren. Das ist das
heilsamste Mittel der
Selbstbeherrschung.
[Reiseplanung von :]
[Var. 1] | [Var. 2] | [Var. 3] |
1030 | 845 [2045] Anh.[alter Bahnhof] | 1030 [2230] |
834 [2034] | 720 München | 10 |
1050 [2250] | 840 ab ~ | 1135 |
438 | 252 [1452] Franzensfeste | 557 [1757] |
455 | 306 [1506] ab | 625 [1825] |
709 | 520 [1720] Toblach | 822 [2022] |
__________________________________________________ | ||
[Var. 4] | ||
1020 [2220] Anh.[alter Bahnhof] Luxus | ||
120 [1320] Franzensfeste [an] | ||
306 [1506] [ab] | ||
520 [1720] [an Toblach] |
Apparat
Überlieferung
, , , , , .
Quellenbeschreibung
3 Bl. (3 b. S.) – Notizblock (, , , ), Viertel eines Papierbogens (, ).
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
keine.
Datierung
WG nahm hier Bezug auf AMo1 vom 22. Juli 1910 (Deine Mutter nennt mich, mein lieber Walter und unterschreibt Ihre getreue Mama), den er wahrscheinlich am 23. Juli, einen Tag vor seiner Abreise aus Timmendorfer Strand, erhalten hatte. Der Passus Verspätete Briefe aus T.[immendorf] müssten mir auch längst nachgesandt sein legt eine Datierung auf den 25. Juli 1910 nahe, da WG bei einer Postlaufzeit von circa einem Tag zwischen Timmendorfer Strand und Neubabelsberg nachgesendete Briefe hätte erhalten können. Inhaltlich knüpft dieser Entwurf außerdem an WG18 an, in dem WG bereits das Ausbleiben der Briefe AMs thematisiert hatte.
Übertragung/Mitarbeit
(Marie Apitz)
(Jannik Franz)
getreue Mama – s. AMo1 vom 22. Juli 1910.
Dr. P. – wahrscheinlich , s. WG18 vom 25. Juli 1910.
alle Züge – In ihrem ersten Brief aus Toblach hatte am 18. Juli 1910 (AM3) geschrieben: Ich bitte Dich zu kommen, sobald ich Dich rufe. […] Schau alle Züge nach – schreib Dir’s heraus[,] damit Du sofort reisen kannst, wenn ich telegraphire.
Pom.[mern] – baute für seinen Onkel in Janikow, Hinterpommern (Jankowo), s. WG76 vom 29. September 1910 und WG77 vom 1. bis 3. Oktober 1910.
Die Zeiten für alle Varianten lassen sich durch , Fahrplannummern 40, 68, 160, 310 und 312 verifizieren. Als letzte Variante 4 seiner Reiseplanung hat eine Direktverbindung zwischen Berlin und Franzensfeste eruiert, die ihn allerdings nicht früher nach Toblach gebracht hätte als die anderen Verbindungen mit Umstieg in München. Der Zusatz Luxus („Luxuszug mit höheren Fahrpreisen“, , S. 0, „Erläuterungen vor Gebrauch des Kursbuches“) bezog sich auf die Direktverbindung „Nord-Süd-Expr.[ess] (Brenner)“ (, Fahrplannummern 40 und 310). Die Unterstreichung der Minutenziffern bei 438 unter Variante 1 und 822 bei Variante 3 folgte dem Usus der damaligen Kursbücher für die „Zeit von 600 abends bis 559 morgens“ (, „Erläuterungen“), wurde von jedoch nicht konsequent und fehlerfrei notiert (s. Postlaufzeiten).